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Stern Roter Stern
Ein Zeichen setzen (31.12.1999)
Artikel aus dem Klarofix (Leipzig)

Gut vier Wochen vor dem Kongreß im Conne Island sprachen wir mit Leipziger Mitorganisatoren und Mitgliedern des Roten Stern Leipzig

Wie kam es, dass der BAFF-Kongreß dieses Jahr ausgerechnet in Leipzig stattfindet?

Hans: Ein Mensch aus dem Duisburger Fan-Projekt hat uns vor geraumer Zeit angesprochen, ob wir nicht Interesse hätten, einen BAFF-Kongreß in Leipzig zu organisieren. Das haben wir zugesagt und nach einem weiteren Treffen, inhaltlicher Art, findet der Kongreß nun in Leipzig statt und besonders zwei Personen von hier kümmern sich nun speziell um die Organisation.

David: Ich denke, dass das auch daran liegt, dass es mehrere Fan-Initiativen im Westen gibt. Und hier in Leipzig gibt es einen Personenkreis von Fußballfans, der vor Jahren das Fanzine "Melk die fette Katze" herausgegeben hat. Dieses Fanzine hatte besonders die Vereine Chemie Leipzig und FC St.Pauli zum Thema. Weiterhin wurde sich im Heft mit alternativer Fan-Kultur auseinandergesetzt und auch das BAFF unterstützt. Das Umfeld der "Fetten Katze" war auch relativ oft in Hamburg, im Ruhrgebiet und auch auf mehreren BAFF-Treffen. Daraus entstand vermutlich der Eindruck, dass es hier in Leipzig noch eine ziemlich aktive Fan-Szene gibt. Damit hängt auch zusammen, dass wir in Leipzig mit Christian auch längere Zeit den BAFF-Vertreter Nordost gestellt haben.

Christian: Das BAFF ist allerdings auch kein Verein mit großem Organisations-Grad, das meiste läuft eher auf persönlicher Ebene. In Italien, bei der antirassistischen Fußball-WM, wurde ich bereits vom Vorsitzenden des BAFF angesprochen, habe damals aber abgelehnt, weil ich der Meinung war, dass sich an der Organisation nur 2-3 Leute beteiligen werden. Weitere drei würden sicherlich auch an Arbeitsgruppen mitmachen, der Rest würde sicherlich nur die Party frequentieren. Einen besonders großen Rückhalt gibt es nicht. Was auch meine Funktion als ehemaliger BAFF-Sprecher Nordost anbelangt, kann man sagen, dass hier im Osten nur marginales Interesse an so etwas besteht, die Fußball-Szene hier ist im großen und ganzen noch sehr homogen: Hools, Faschos und Kuttenfans schwimmen da meistens auf einer Welle. Bei Chemie gibt es da noch eine der subversivsten Fankulturen.

Besitzt es also einen speziellen Stellenwert, dass der BAFF-Kongreß zum ersten mal im Osten stattfindet?

C.: Man muss dazu sagen, dass es im Jahr mehrere BAFF-Treffen gibt. Im Sommer findet immer ein großes in Oer-Erkenschwick statt, an dem so 300-400 Leute teilnehmen. Im Winter gibt's dann immer die Arbeitstreffen, zu denen nur ein kleiner Kreis, die Aktivsten sozusagen, anreist, meistens so 40-50 Personen. Ein solches eher kleines Arbeitstreffen ist auch das hier in Leipzig. BAFF will mit dieser Wahl des Ortes sicherlich auch ein Zeichen setzen und mehr Fans aus dem Osten animieren, sich zu engagieren und beim BAFF mitzumachen.

Woher kommen die TeilnehmerInnen?

C.: Aus Hamburg, Düsseldorf, Duisburg, Offenbach, Berlin. Das sind so die wesentlichen Städte.

Wie sieht das Programm aus?

H.: Es gibt einen Vortrag vom Roten Stern Leipzig, der sich in einer Podiumsdiskussion vorstellt. Die sonstigen Themen werden derzeit in den Gruppen, die an dem Kongreß teilnehmen, besprochen. Schwerpunkte sind u.a.: Sinn und Zweck des BAFF, Möglichkeiten des Internets etc.

C.: Die klassischen Themen des BAFF sind Rassismus in den Stadien, Kommerzialisierung, im speziellen die sogenannte "Versitzplatzung". Seit Anfang der 90er Jahre, seitdem also die Popularität des Fußballs im starken Maße zugenommen hat (die Zuschauerzahlen in der Bundesliga haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt, die Summen für die Fernseh-Übertragungsrechte verzehnfacht), ging von England kommend die Versitzplatzung los. Dort gab es 1985 und 1989 bei zwei Fußballspielen jeweils 80-90 Tote, eine Untersuchung seitens der englischen Regierung mündete schließlich im Taylor-Report, der besagt, dass nur noch reine Sitzplatzstadien Sicherheit bieten würden. Daraufhin wurden dann alle englischen Profi-Vereine, immerhin 92 an der Zahl, angewiesen, ihre Stadien umzubauen. Irgendwann ist schließlich auch die UEFA auf den Zug aufgesprungen und beschloß, dass Länder- und Europacup-Spiele nur noch in reinen Sitzplatzstadien ausgetragen werden dürfen. Dadurch ist fast jeder erstklassige Verein in Deutschland verpflichtet, sein Stadion umzubauen, wenn er in europäischen Wettbewerben mitspielen will.

Folge davon ist, dass die Kapazitäten der Stadien zurückgehen, dadurch steigen die Preise und immer mehr Spiele sind ausverkauft. Das wiederum führt dazu, dass mehr Dauerkarten gekauft werden. Das hat eine Elitenbildung zur Folge. In einigen Stadien haben die Dauerkarten bereits einen solchen Wert, dass sie nur vererbt werden. Das sind die Themen schon seit eh und je, die Lösungen liegen im Dunkeln, so dass das ganze etwas stagniert. Man bräuchte eine Massenbasis, die Proteste auch artikulieren könnte und die nötige Macht darstellen würde. Die Erfahrungen zeigen aber, dass die Masse der Fußballfans nur sehr begrenzt denkt und nicht in der Lage ist, die weitreichenden Konsequenzen zu erkennen. Irgendwann stehen die dann bei ner WM vorm Stadion und wundern sich lediglich, dass die Karte 200,- DM kostet und das Spiel schon ausverkauft ist.

Wer aus Leipzig unterstützt euch eigentlich bei diesem Kongreß und wie sieht der Ablauf aus?

H.: Der Kongreß findet vollständig im Conne Island statt. Am Freitag den 14.1. ist lediglich Anreise, am Samstag den 15.1. finden die Diskussionen und die Arbeitsgruppen statt. Am Abend gibt es dann noch eine Feier im Zoro, ich denke mal, das wird unserer bestbesuchtetste Veranstaltung werden. Am Samstag klingt das alles mit der Auswertung der Arbeitsgruppen und der Wahl des BAFF-Vorstandes ab. Danach ist Abreise. Interessierte können dann noch zum Pokalspiel von Roter Stern Leipzig gehen.

C.: Wichtig ist noch, dass dieses Jahr die beiden Hauptinitiatoren des BAFF zurücktreten und Nachfolger gefunden werden müssen.

Gibt es überhaupt ein öffentliches Interesse an diesem Kongreß?

H.: Eher nicht, die meisten Leute verbinden ja auch mit BAFF nichts, das ist für sie eher Neuland. Es wird Artikel im Cee Ieh und im Prasses Erben (Roter Stern-Fanzine) geben, sowie dieses Interview im Klarofix.

Ihr habt vorhin von alternativer Fan-Kultur gesprochen. Was ist denn eurer Meinung nach darunter zu verstehen?

D.: Es geht als erstes darum, Fußball bewusst zu begreifen, auch als Lebensgefühl zu begreifen, also nicht einfach hinzugehen und zu konsumieren. Das bedeutete, dass man auch über den Fußballkonsum hinaus ein Interesse an den Geschehnissen gewinnt und auch die soziale Komponente begreift. Es handelt sich also um eine Fankultur, die nicht durch Konsum gesteuert ist. Dabei ist es wichtig, sich eigene Gedanken zu machen, das geht meist einher mit der Veröffentlichung eigener Publikationen, sogenannter Fanzines, wie das in sehr vielen Stadien, besonders im Westen, mittlerweile schon üblich ist.

C.: Ich denke, daß alternative Fankultur nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als nicht an der Stadionkasse, am Einlaß zur Vergnügungsveranstaltung, sein Hirn abzugeben. In den deutschen Stadien trifft man ja in der Regel den typischen hässlichen Deutschen, der auf alles Alternative, scheinbar Nichtdeutsche usw. einprügelt. Wie das am Besten funktioniert, hat ja eigentliche Chemie Leipzig in der DDR gezeigt. Dort haben die Fans in den zwei Stunden rund um das Spiel ein ganz anderes Gefühl an den Tag gelegt, welches nicht in den Alltag der DDR passte. Ich fände es toll, wenn es heutzutage auch so wäre, dass Spontaneität und ein anderes Lebensgefühl vorherrschen würde. Das ist aber seit Anfang der 90er Jahre fast völlig zurückgedrängt worden. Ich würde den Begriff also nicht so hochhängen wollen, sondern lediglich als Versuch beschreiben, einen angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Aber angenehm finden es sicher auch Fans bei jedem anderen beliebigen Spiel, die einfach nur hingehen und konsumieren?

C.: Ja, aber es geht vor allem darum, als Fußballfan Einfluss auf die Vereinspolitik zu nehmen. Also dass mich als Fan interessiert, was auf dem Rasen vor sich geht und wie die Dinge im Verein gestaltet sind: Wie hoch die Eintrittspreise sind, wie hoch die Überwachung im Stadion ist, welche Leute dort sind, z.B. wenn größere Faschogruppen das Stadion als Agitationsfeld benutzen. Hinsichtlich dieser Punkte will ich nicht machtlos sein, sondern versuchen zu intervenieren. In solchen Fällen würde ich versuchen, den Verein bei der Ehre packen, z.B. wie bei Vereinen mit aktiven Fans, wo ein Antirassismusparagraf verankert wurde oder störende Leute beim Spiel einfach rausgeschmissen wurden. Damit ist das Problem nicht gelöst, aber es ist der Versuch, meinen Verein so zu gestalten, wie ich ihn gerne hätte. Ich will mir nicht jedes halbe Jahr den neusten Fanartikel kaufen können, sondern Basisdemokratie dort leben können. Aber gerade jetzt, im Zuge der Umwandlung der Vereine in Kapitalgesellschaften, wird das immer schwerer. Jetzt kann ich als Vereinsmitglied noch einiges mitbestimmen, aber dann würde das von Aktionären bestimmt, die noch nicht mal ins Stadion gehen und Fußball nur als Geldanlage sehen.

In Leipzig gibt es seit einiger Zeit den Verein Roter Stern Leipzig, dem auch ihr angehört. Das bedeutet, von bereits bestehenden Vereinen abzurücken und eigene Vereinsstrukturen zu entwickeln. Inwieweit seid ihr bei den anderen Vereinen an Grenzen gestoßen, die den Wunsch nach einer eigenen Insel geweckt haben? Welche Gründe gab es dafür?

D.: Zunächst gab es einfach Leute, die ganz normal Fußball gespielt haben und die schon mit einer alternativen Fankultur in Berührung gekommen waren, die sich also von Rassismus und üblichen deutschen Prollvereinsleben abgegrenzt haben. Darüber haben sich die zusammengefunden, die in einer anderen Atmosphäre spielen wollten. Das war damals Blau-Weiß Leipzig, fünfte Männermannschaft. Dort sind wir schnell auf einige Grenzen gestoßen. Die entscheidensten waren, nicht in die nächsthöhere Liga aufsteigen zu können und nicht als eigene Vereinigung aktiv werden zu können. So entstand das Interesse, einen eigenen Verein zu gründen, in dem sich die Ansätze der einzelnen Leute vergegenständlichen konnten. Es war relativ schnell klar, dass es einen deutlichen nicht beliebigen Namen geben musste - eben Roter Stern - und dass dieser Verein als linker, alternativer Verein erkennbar sein musste.

Besteht die Gefahr, dass sich der Verein weg von seinen Fans entwickelt?

C.: Im Volkssport kann eigentlich jedes Mitglied Einfluss auf die Geschicke des Vereins nehmen. Da es inzwischen eine zweite Mannschaft gibt, steht das Ganze auf breiterer Basis und durch vielfältigere Meinungen stehen mehr Entscheidungen an. Aber durch das Plenum ist alles bisher basisdemokratische gut geregelt worden. Obwohl wir jetzt mehr als ein enger Freundeskreis sind, ist die Gefahr, dass etwas von oben autoritär aufgedrückt wird auf diesem Niveau nicht gegeben. Wenn jemand was machen will, sagt er das auf dem Plenum und macht es einfach.

In anderen Vereinen steht z.B. nur die erste Männermannschaft im Licht der Öffentlichkeit und soll gut vermarktbar sein und alles Drumherum ist Nebensache. Steht die Fußballmannschaft bei Roter Stern also gar nicht so im Vordergrund?

C.: doch, wir sind ja ein Fußballverein. Aber es ist klar, dass ein erfolgreicher Tabellenplatz nicht alle Mittel heiligt. Das Ziel ist nicht, vier Jahre hintereinander aufzusteigen. Auch wenn der Ehrgeiz immer mehr um sich greift. Das scheint mir eine normale, zumindest überall zu beobachtende Sache zu sein. Aber da muss man auf die Bremse treten, wenn z.B. nach einem Unentschieden wie letzte Woche Todesstimmung herrscht.

D.: Es gibt eine offizielle Vereinsstruktur, die eingehalten wird. Ansonsten laufen alle Entscheidungen basisdemokratisch über ein Plenum. Aber fast allen ist klar, dass das wichtige nicht die paar Leute sind, die über den Rasen laufen; zumal in der dritten Kreisklasse das Niveau zuweilen ziemlich niedrig ist. Wichtig ist das ganze Umfeld: Die Heimspiele, die Abende, wo die Leute sich treffen. Dass man auch Leute kennenlernt oder mit politischen Aktionen, subkulturellen Erscheinungen in Berührung kommt.

C.: Der Verein stiftet auf jeden Fall Identität. Er hält die Leute noch enger zusammen, da man sich beim Training und beim Spiel mehrmals die Woche sieht.

Ihr sagt, dass ihr auch Chemie- oder St.Pauli-Fans seid. Wirkt sich eure Erfahrung bei Roter Stern auch auf diese Bereiche aus?

H.: Bei mir ist es so, dass Chemie oder Pauli ein wenig ins Abseits geraten, wenn man erst mal so einen Verein hat wie Roter Stern. Erstens zeitlich: wenn Chemie parallel zu Roter Stern spielt, gehen wir natürlich zu Roter Stern. Dann haben viele dort ihre Heimat gefunden und ackern ständig dran.

Das klingt doch nach Rückzug auf eine Insel, die man sich geschaffen hat, weg von den Problemen des Alltags.

C.: In anderen Vereinen musst du doch viele Kompromisse eingehen. Z.B. den, dass du einigen von diesen tausenden Fans im Stadion lieber aufs Maul hauen willst, als dieselbe Mannschaft anzufeuern. Beim Roten Stern muss man diesen Kompromiss nicht mehr machen. Obwohl inzwischen auch Leute kommen, die am Spielfeldrand in ihren Beschimpfungen schwulenfeindliche Ausdrücke wählen. Es gibt also auch beim Roten Stern immer Probleme und Diskussionsbedarf. Aber man hat viel mehr Einfluss darauf und es ist doch was eigenes. Man ist weniger in der Konsumentenrolle, sondern gestaltet selber.

Das widerspricht doch den genannten BAFF-Prinzipien, also in großen Vereinen Einfluss zu gewinnen und eigene Positionen durchzusetzen.

H.: Damit ist aber die Ohnmacht, völlig hilflos zu sein, gebrochen. Bei Chemie "ist es halt so", es wird eher schlimmer denn besser. Irgendwann kam der Punkt, wo man einfach kapituliert vor den Verhältnissen und man beginnt, was eigenes zu machen. Bei Roter Stern kann ich auch mal von Anfang an einen Verein mitgestalten und erleben. Z.B. Schals; obwohl Roter Stern in der letzten Liga spielt, wirft er Fanartikel wie ein Bundesligaverein auf den Markt. Das macht eben Lust und Laune.

C.: Ich möchte festhalten, dass die Chemie-Begeisterung trotzdem noch recht stark ist. Wir halten uns jetzt mehr im Hintergrund, machen kein Fanzine mehr dort und besuchen Auswärtsspiele doch lieber im privaten Auto als im Zug, wo man mit schlechten Gestalten und Sprüchen konfrontiert wird. Aber abgesehen von der zeitlichen Komponente, tritt das nicht weiter in den Hintergrund.

D.: Ich denke doch, dass das Engagement nicht abgenommen hat, dass auch weiterhin die Leute zum Fußball finden, zu Chemie oder Roter Stern. Aber das bewusste Etwas-Miteinander-Tun als Organisierung in einer politischen Absicht, mit einem Ziel, das passiert eher beim Roten Stern. Die Leute, die bewusst eingreifen wollen, z.B. über ein Fanzine, versuchen das eben nicht mehr bei Chemie, sondern gehen nur noch so hin.

Ist der politische Ansatz bei euch explizit formuliert, als dass z.B. über eine Fan- oder Jugendkultur die Jugendlichen mit antifaschistischen oder antirassistischen Grundhaltungen in Berührung kommen?

D.: Das ist schwierig. Es gibt Leute, die wollen v.a. Fußball spielen, die sehen das nicht so. Aber viele verbinden damit etwas sehr Politisches. Für mich ist es wichtig, hervorzuheben, dass also eine Fußballkultur v.a. eine klassische Subkultur ist. Dort gehen Leute hin, treffen sich und bekommen so politisch was mit. Das betrifft auch so klassische Gebiete wie Punkrock, Hardcore oder Skaten.

Linke Positionen zu vertreten, bedeutet aber auch, Missstände anzugreifen und sich Konfrontationen dort zu stellen, wo sie auftreten.

C.: Du spielst wieder auf das Nischendasein von Roter Stern an. Ich sehe das mit der Subkultur ähnlich. Wie ich bei einem Konzert nicht nur Musikliebhaber haben will, will ich bei einem Spiel nicht nur Fußballbegeisterte haben. Es muss als Mittel zur Politisierung dienen. Die Frage stellt sich, inwieweit man da Einfluss nehmen kann. Denn es ist schwer möglich, allen, die zum Spiel kommen, zunächst eine Gesinnung abzuverlangen. Das wäre auch nicht das richtige Prinzip. Deshalb können sich gewisse ungeschriebene Verbindlichkeiten in einer Gruppe nur in einem Prozess entwickeln. Wie eine Einflussnahme möglich ist , ohne etwas von oben aufzuoktroieren, stellt mich auch noch vor ein Rätsel. Die Frage nach dem Politischen beim Roten Stern kann sich ja zumindest im täglichen Umgang miteinander äußern. Das betrifft die Gestaltung des Trainings und des Spiels und die Frage, ob dort alles dem Leistungsprinzip untergeordnet werden soll oder ob nicht ein Rotationsprinzip eingeführt werden soll, damit jeder im gleichen Maße spielen kann. Vor solchen Fragen stehen wir auch. Die Frage nach unserer Praxis.

Politisch verhält man sich doch aber, um gewisse Entwicklungen voranzutreiben oder zu beeinflussen. Aber das von dir gesagte beschreibt ja eher das isolierte Ausleben einer Utopie.

C.: Das ist aber trotzdem politisch. Wenn ich für eine herrschaftsfreie Gesellschaft bin, wäre es inkonsequent, wenn ich in meinem eigenen Verein Formen von Herrschaft dulden würde. Es ist klar, dass man gewissen Bedingungen unterworfen ist. Durch eine Subkultur lässt sich nicht eine gesamte Gesellschaft umstürzen. Heute sind Subkulturen eher Marktsegmente. Trotzdem sollte man nicht gedankenverloren alles so übernehmen, wie man es aus anderen Vereinen kennt, sondern versuchen, emanzipatorische Aspekte zu verwirklichen. Z.B. gegen Ehrgeiz vorzugehen. Dann das ist wirklich Geiz mit Ehre. Es ist wichtig, dass dieses Wort erst mal negativ besetzt wird oder dass die Motivation dafür zumindest hinterfragt und offengelegt wird.

Sind Fußballfans eine emanzipatorische Bewegung?

C.: Das würde ich bestreiten. Vielleicht bei Chemie damals. Dort war es vielleicht möglich, sich Freiräume zu schaffen, Leute zu beeinflussen und aus dieser Megamaschine der Arbeit auszubrechen, um dem Staat in seiner Freizeit zumindest zu widersprechen. Aber heutzutage geht's in eine schlechte Richtung. Ich sehe das kritisch, denn Fußball wird zum gesellschaftlichen Thema schlechthin. Das geht auf Kosten wirklicher Reflektion über gesellschaftliche Zustände. Aber es schmälert natürlich das Fußballerlebnis, wenn ich dazu angehalten werde, über gewisse Zustände beim Fußball nachzudenken. Auch in unserer Kreisen wollen die Leute am liebsten nicht an vieles denken.

Vielen Dank für das Gespräch!

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