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Offener Brief an den SFV, LSB und (fußballinteressierte) Antifas (22.5.2017)
Abschließend möchten wir in aller Deutlichkeit festhalten: Wir werden es uns auch in Zukunft nicht nehmen lassen, Personen, die sich an rechten Freizeitaktivitäten, Nazidemonstrationen und faschistischen Überfällen beteiligen, als das zu benennen, was sie sind: Faschisten. Wir müssen uns in den kommenden Spielzeiten weiter mit diesen Personen und deren Strukturen auseinander setzen, egal, ob nun ein Urteil vorliegt oder nicht. Deshalb ist es keineswegs ehrverletzend, den einschlägig Bekannten das entgegen zu halten, was sie sind: Nazischweine.

Die Saison 2016/2017 endet in naher Zukunft, hinter uns liegt ein weiteres Jahr voller Ausflüge ins Leipziger Umland mit vielen erinnerungswürdigen Erlebnissen. Vor allem die letzten Wochen und Spiele gegen Borna und Schildau, die anschließenden Debatten und Sportgerichtsverfahren, mit vielen bekannten Argumentationsweisen, nötigen uns hier eine ausführlichere Stellungnahme ab.

Nicht nur im Sport, sondern in ganz Sachsen wurde in den letzten Jahren eines deutlich: Vielerorts fühlen sich Nazis bestätigt und ermächtigt, beispielsweise in Heidenau, Freital oder Arnsdorf und eben auch in Schildau und Borna. Sie können nahezu ungehindert agieren. Dies zeigte sich obendrein beim Überfall auf Connewitz am 11.01.2016, an welchem sich zahlreiche Neonazis und Hooligans, darunter auch aktive Spieler der Landesklasse Nord, beteiligten.

Demgegenüber haben wir an manchen Orten und Spieltagen eine offene und kooperative Gesprächskultur vorgefunden. Hier wurde sich gegen Nazis und deren Symbolik im Fußball positioniert und dementsprechend konnte auch die sicherheitsrelevante Polizeipräsenz deutlich reduziert werden. Die Spiele liefen entspannt ab. Normalität zog ein.

Bedauerlicherweise ist die Debatte, welche wir angestoßen haben, in den letzten Wochen zusehends entglitten. Statt über Nazis im Sport und deren Akzeptanz in manchen Vereinen zu sprechen sowie Gegenstrategien zu entwickeln, wird über Transparente, Ehrverletzungen und die angeblich zunehmende "Politisierung des Sports" fabuliert.

Als Breitensportverein versuchen wir die Leitlinien aus unserer Satzung und unserem Selbstverständnis seit Gründung 1999 auf den Plätzen und in den Hallen zu leben - ein konsequentes Eintreten gegen Neonazismus und Diskriminierung. Unsere Errungenschaft, eine Wohlfühlzone für alle ohne Nazis, persönliche Abwertung und Leistungsethos, tragen wir seit 18 Jahren bewusst nach außen.

Gegenüber dem Sächsischen Fußballverband (SFV) bringen wir die Auseinandersetzung mit neonazistischen Umtrieben seit unseren ersten Spielen außerhalb der Stadtgrenzen 2009 aufs Tableau. Bei aller Gesprächsbereitschaft heute, hat sich an dieser Stelle für uns an der Gesamtsituation wenig geändert. Eine Sicherheitspartnerschaft für die Landesklasse Nord, verbunden mit einer praxisbezogenen Linie im Umgang mit Diskriminierung und Neonazismus scheiterte am Umsetzungswille diverser Vereine. In Sicherheitsberatungen werden teils bis heute von uns Rechtfertigungen für unsere Position und unser Engagement verlangt. Im Bezug auf den Angriff auf Connewitz wurden die betreffenden Vereine auf unser Drängen hin durch den Verband auf Nazis in ihrem Umfeld hingewiesen. Ein mittelfristig belastbarer Weg ist dennoch nicht zu erkennen. Trotzdem urteilt man die öffentliche Anklage der beteiligten Personen in Wort und Schrift sportgerichtlich ab und zieht sich in wagen Aussagen zur Neutralität des Sports doch auf den juristischen Begriff der Unschuldsvermutung zurück. Als ob ein Sportgericht zu diesem Punkt verlässlich Recht sprechen könnte, wenn die Verfahren gegen die Angreifer*innen von Staats wegen ausbleiben bzw. nie zustande kommen. Nicht anders lesen wir die diversen Stellungnahmen der "betroffenen" Vereine sowie die letzte Urteilsbegründung des Sportgerichts gegen uns zum Spielabbruch in Borna, indem die Höhe der Geldstrafe vor allem durch "Provokationen" und "Beleidigungen" unserer Fans gegen Nazis und ihre Versteher*innen begründet wurde. Es sei hier angemerkt, dass wir das Urteil zwar hinnehmen, die Urteilsbegründung allerdings grundsätzlich kritisieren und als Ausdruck der tatsächlichen sächsischen Zustände lesen. In aller Deutlichkeit muss nochmals festgestellt werden, dass ein Stadion eben kein neutraler Raum ist und sich hier im konkreten Fall nicht politische Gegner*innen wechselseitig beleidigt haben, sondern sich ein gesellschaftlicher Konflikt während eines Spiels ausdrückte. Die pauschale Verunglimpfung aller Bornaer*innen hat nicht stattgefunden. Die Rufe und Tapeten bezogen sich auf die drei vermeintlichen Täte r. Außerdem wirkten wir als Verein immer mäßigend auf unseren Anhang. Obgleich die Situation vor Ort heikel war, gab es keine weitere Eskalation unsererseits - weder davor, noch währenddessen oder danach. Die weitere Problematisierung muss sachbezogen ansetzen.

In Schildau jedoch erreichte die Akzeptanz von neonazistischen Aktivitäten einen weiteren Höhepunkt: Rund 40 organisierte Nazis waren, offensichtlich nicht zum ersten Mal, an diesem Tag im Stadion. Darunter etablierte Kader, die sich mitverantwortlich für einige der populärsten Naziangriffe der letzten Jahre zeigten: Der Überfall auf den RSL 2009 in Brandis sowie den Angriff auf Connewitz am 11.01.2016. Sie skandierten homophobe und frauenverachtende Rufe, trugen T-Shirts der rechten Szene wie etwa "JDN CHM" (für "Juden Chemie") und präsentierten das Banner der "Schildauer Jungs". Diese Nazikameradschaft und ihre Transparente sind seit des versuchten Übergriffs auf den Stern vor sieben Jahren an selber Stelle bekannt. Nach Abpfiff trank man gemeinsam, ob Spieler (eingekleidet durch einen rechten Merchandiser) oder Vereinsverantwortliche, mit dem nazistischen Mob Bier und pöbelte gegen den RSL-Anhang.

Der gastgebende Verein untersagte per Stadionordnung zuvor für diesen Spieltag bzw. sicherheitsrelevante Spiele jegliche Fan-Utensilien sowie Videoaufzeichnungen. Der RSL empfindet dies als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, auch abseits des Hausrechts.Außerdem wurde unser Team beim Betreten der Sportanlage in Spielkleidung massiv kontrolliert und durchsucht. Die Problematisierung dieses Handelns wurde beim Verband bereits angegangen. Die Fans mussten nach den Einlasskontrollen durch den Ordnungsdienst weitere Kontrollen durch Vollzugsbeamte ertragen, während sich auf der Gegenseite in Sichweite gruppenweise per Handschlag Zugang verschafft wurde. Antifaschismus wird mit allen Mitteln verhindert. Den Nazis Nordsachsens wurde kameradschaftlich Zugang gewährt. Wie nah und dauerhaft präsent die Taten des 11.01., nicht nur in Borna, sind, zeigte sich spätestens hier als zum Abschluss mit breitem Lächeln unter Beobachtung der Polizei verkündet wurde, dass Connewitz erst der Anfang gewesen sei. Nazis fühlen sich in manchen Vereinen im Bundesland sehr wohl und vor allem sehr sicher. Sie sind integriert und können nach eigenem Ermessen handeln.

Sowohl im Sport als auch auf politischer Ebene und in der Landesregierung fehlen in Sachsen adäquate Handlungspraxen, insbesondere im Umgang mit Neonazis. Im Gegensatz dazu ist es schwer erträglich, dass ermittelnde Beamte jahrelang willkürlich aber nicht zwecklos Daten über Antifaschist*innen gesammelt haben, aber der 11.01. trotz wochenlanger Vorbereitung und breiter Absprachen in der Szene ungehindert passieren konnte. Nazis konnten währenddessen ihre Netzwerke weiter knüpfen und Beziehungen ausbauen. Wenn sich diese Personen nun erheben und in den öffentlichen Raum drängen, erfordert dies nach sächsischer Lesart ein Pendant auf linker Seite. Der Mythos des gewaltbereiten und kriminellen Connewitz eignet sich hierfür am besten. Statt Nazistrukturen aufzuklären, wurden in Leipzig über Jahre hinweg Antifaschist*innen bespitzelt und Vorwürfe konstruiert. Der Exzess konnte ohne Widerspruch bis zur Überwachung von Gesprächen mit Familienangehörigen, Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen getrieben werden. Statt sich über diese bewussten Fehltritte auszutauschen, wird wie immer nach weiteren Kompetenzen gerufen. Bis hin zur Überwachung, wer mit wem des Nachts Fifa auf der Konsole spielt, wenn es nach dem Wille der zuständigen sächsischen Minister geht. Der bundesweite Aufschrei ob der Dimension des Skandals bleibt aus. Bislang werden die Geschehnisse in der Aufarbeitung als reiner Fußballskandal gelesen, statt auch sie ehrlich als eine kontinuierliche Weiterführung und Zuspitzung der Kriminalisierung des Antifaschismus in Sachsen zu benennen. Die gesellschaftliche Schieflage im Freistaat ist aus unserer Sicht nicht mehr wegzudiskutieren. Der Ministerpräsident irrt, wenn er bezugnehmend auf die frisch veröffentlichte Studie zu "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland" lediglich wie seine Amtsvorgänger glaubt, dass Nazis das Image des Freistaats beschädigen. Wir sind bei unserer Freizeitgestaltung leider immer noch und immer wieder mit ihnen konfrontiert.

Die öffentliche Debatte zum 11.01. und wird im Verein und im Viertel seit Monaten emotional geführt. Sanktionen blieben bisher aus und sind wohl auch nicht zu erwarten. Trotz dessen wollen Unterstützer*innen und das Umfeld unseres Clubs die Auseinandersetzung mit Nazis im Sport, in Sachsen und darüber hinaus vorantreiben. Diese Politisierung begrüßen wir ausdrücklich. Sie hat durch die Vorfälle in Borna und Schildau wie auch durch das Urteil gegen den RSL weiter Auftrieb bekommen. Absurd wird es jedoch, wenn diverse Verantwortliche eine politische Instrumentalisierung der Vorfälle beklagen, ohne ihr eigenes Handeln als politisch wahrzunehmen. Nach 8 Jahren auf Bezirksebene ist mancherorts kaum ein Verständnis vorhanden, dass politfreie Zonen nicht existieren und in der Praxis immer nur eins bedeuten: widerspruchsfreie Räume für reaktionäres, faschistisches Gedankengut und Handeln. Wir kommen zur nächsten Saison zu einer vereinsinternen Position, die die Erfahrungen unserer Spielzeiten im Bezirk bisher reflektiert und dem mehr als notwendigen Antifaschismus im Sport Rechnung trägt. Deshalb werden wir auch für alle Interessierten unsere Stellungnahmen ans Sportgericht wie auch die Urteile einsichtig machen, um Transparenz und Debatte zu ermöglichen. Außerdem appellieren wir an alle zukünftig Anwesenden bei den relevanten Spielen, an der Dokumentation neonazistischer oder diskriminierender Ausfälle mitzuwirken und entstandenes Material im Nachgang auszuwerten. Hoffentlich schafft diese breitere Öffentlichkeit die Option zweifelsfrei festzustellen, dass Handlungsbedarf abseits unserer Wohlfühlzone vom Sportpark Dölitz bis zu unserem Vereinsheim Fischladen besteht.

Auf unseren Spielstätten und in unseren Lokalitäten sind solche Vorgänge wie in Borna und Schildau zum Glück undenkbar. Auch andere Vereine haben (mittlerweile) einen adäquaten Umgang in der Beschäftigung mit neonazistischen Gedankengut und Handlun gen in ihre m Umfeld gefunden. Wir sind zur Unterstützung nach wie vor gewillt, unsere Rechercheergebnisse und unseren Erfahrungsschatz zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ist es unerlässlich, endlich Mindeststandards in der Auseinandersetzung mit Nazis, vor allem von Verbandsseite, auszuarbeiten und durchzusetzen. Dies umfasst für uns die Umsetzung der folgenden konkreten Forderungen:

- klare Distanzierung aller Akteure von neonazistischen und diskriminierenden Sichtweisen, Handlungen und Personen in Vereinen, Institutionen und Verbänden – Anerkennung der eigenen gesellschaftlichen Verantwortung

- Verständnis des politischen Ausmaßes der Ereignisse um den 11.01.2016 und damit letztlich eine Versachlichung der Debatten um Nazis in Sport und Gesellschaft

- Dokumentation und sensible Veröffentlichung von diskriminierenden und neonazistischen Vorfällen im Sport in Sachsen

- Verbindung von Sanktion und Prävention im Bezug auf Sportgerichtsverfahren aufgrund von diskriminierenden und neonazistischen Vorfällen in Stadien oder Vereinen – Bildungs- und Aufklärungsprogramme müssen verpflichtend werden, wenn eine Problemlage offensichtlich wird

- Erarbeitung einer belastbaren Linie zur Bekämpfung von Neonazismus und Diskriminierung von Seiten des SFV – dies umfasst ein Verbot von Nazisymbolik im Stadion anhand der DFB-Broschüre "Gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung. Für Vielfalt und Respekt!" sowie den Ausschluss von einschlägig bekannten Neonazis durch den Landesportbund Sachsen und einen Erfahrungsaustausch zwischen den Landesverbänden der Republik

- Aufklärung des Abhörskandals rund um antifaschistische Initiativen und Einzelpersonen sowie Fußballfans

Abschließend möchten wir in aller Deutlichkeit festhalten: Wir werden es uns auch in Zukunft nicht nehmen lassen, Personen, die sich an rechten Freizeitaktivitäten, Nazidemonstrationen und faschistischen Überfällen beteiligen, als das zu benennen, was sie sind: Faschisten. Wir müssen uns in den kommenden Spielzeiten weiter mit diesen Personen und deren Strukturen auseinander setzen, egal, ob nun ein Urteil vorliegt oder nicht. Deshalb ist es keineswegs ehrverletzend, den einschlägig Bekannten das entgegen zu halten, was sie sind: Nazischweine.

Love Football – Hate Fascism!

Roter Stern Leipzig '99 e.V.

20.05.2017

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